Später wurde ein Teil des Familienbesitzes als Erdbeerfeld für Selbstpflücker genutzt, und so kam etwas Geld herein. Die Familie wollte das ausbauen und bat mich, zur Mithilfe nach Hause zu kommen. Ich willigte ein, aber als Marketing -Fachmann hatte ich überhaupt keine Ahnung von Landwirtschaft. Ich ging zu Mr. Chang [Firmenchef von Tai-Yi], der meine Familie mit Erdbeerschößlingen belieferte. Ursprünglich wollte ich dort nur ein paar Monate bleiben, die grundlegendsten Kenntnisse erwerben und diese dann in der Farm meiner Familie anwenden. Während dieser Zeit konnte ich mir vom Vermarktungsblickwinkel aus einen Überblick über die Branche verschaffen und entdeckte viel Entwicklungsspielraum. Das interessierte mich, und daher entschloß ich mich zu bleiben, um mehr zu lernen. Heute leitet mein Bruder den Familienbetrieb, aber ich helfe ihm auch ein wenig.
Die Firma Tai-Yi entstand vor sieben Jahren. In den ersten fünf Jahren war es eine Gemüse-Pflanzenschule. Im Winter ist das Geschäft für die Gemüse-Pflanzenschulen sehr ruhig, aber weil man ja auch von etwas leben muß, wurden im Winter in kleinem Rahmen Blumen verkauft. Wenn in einem Land die Einkommen der Leute eine bestimmtes Niveau erreichen, fangen sie an, über eine Verschönerung ihrer Umgebung nachzudenken. Taiwan ist jetzt in diesem Stadium -- das sieht man deutlich an dem größeren Interesse der Leute für Blumen. Als ich noch klein war, hatten nur alte Leute manchmal ein paar Topfpflanzen.
Eine Zeilang waren besonders sehr teure Blumen wie Orchideen bei reichen Leuten beliebt, die mit ihrem Reichtum protzen wollten. Vor ein paar Jahren fragten uns viele Kunden, wie lange eine Topfpflanze für 15 NT$ (95 Pfennig) leben würde. Wir sagten ihnen, daß sich die Anschaffung lohnt, selbst wenn die Pflanze nur drei Monate halten würde -- schließlich bekommt man sonst für 15 NT$ gerade einmal eine Dose mit einem Erfrischungsgetränk. Heute betrachten immer mehr Leute Blumen als Konsumgut. Ich habe ausgerechnet, daß man mit 5000 NT$ (312 DM) einen Balkon ein ganzes Jahr lang mit Blumen ausstatten kann. Dafür braucht man auch nicht viel Zeit: vielleicht 15 Minuten täglich reichen.
Landwirtschaft besteht nicht nur aus harter Feldarbeit: Wir müssen Trends folgen. 1995 haben wir unsere Blumenabteilung ausgebaut und uns dabei auf Topf- und Beetpflanzen konzentriert. Das Marktwachstum entspricht unseren Erwartungen. Als wir anfingen, wurden auf der ganzen Insel jährlich 25 Millionen Beetpflanzen gekauft. Die Zahl ist mittlerweile auf 35 Millionen gestiegen, davon kann ich 10 Millionen liefern. Zu unseren Kunden gehören ganze Gemeinden, normale Familien und öffentliche Bauprojekte.
Wir vertreiben pro Jahr 250 Blumenarten und führen regelmäßig neue ausländische Sorten ein. Das muß sein, denn sobald ein Produkt begehrt wird, kann man es im Handumdrehen auf dem ganzen Markt finden. So ist das nun mal in einer freien Marktwirtschaft. Man kann nicht von der Konkurrenz den Verzicht auf die begehrten Sorten verlangen, also müssen wir neue züchten.
Wir exportieren auch Beetpflanzen nach Singapur oder auf die Ryukyu-Inseln (Südjapan). Insgesamt exportiert Taiwan aber nur wenig Blumen, weil viele Pflanzer hier es mit der Qualitätskontrolle nicht so genau nehmen, die ausländischen Märkte aber Perfektion erwarten.
Eine größere Veränderung, die mir in den letzten zwei Jahren aufgefallen ist, ist die Automatisierung der Büro- und Gartenverwaltung. Wir haben uns von einer arbeitsintensiven Farm zu einem automatisierten Betrieb entwickelt. Die Austattung des Büros mit Computern war besonders problematisch. Viele der älteren Mitarbeiter nahmen lieber eine Hacke als einen Stift in die Hand. Die hatten noch nie eine Computertastatur aus der Nähe gesehen, und das war für sie eine große Umstellung.
Die Automatisierung der Produktion war leichter. Einen großen Teil unserer Einkünfte haben wir in automatische Bewässerung, Pestizid-Sprühgeräte, Schienensysteme usw. investiert. Technisch gesehen kann eine einzelne Person den gesamten Blumenproduktionsablauf alleine erledigen. Die meisten der Automatisierungseinrichtungen waren ursprünglich von staatlichen Agrarbehörden entwickelt worden, die auch für einen Teil der Kosten aufkamen. Der Schlüssel zum Erfolg ist, einen Markt zu finden, der für eine rentable Automatisierung groß genug ist. Eine automatische Sämaschine mit einer Tagesleistung von 300 000 Stück bringt nichts, wenn man die entstehenden Produkte nicht verkaufen kann.
Trotz ständig wachsender Nachfrage im Inland muß der Blumenmarkt in Taiwan eigentlich noch als unterentwickelt bezeichnet werden. Ich freue mich immer, wenn ich in den Städten die vielen hohen Betongebäude um mich herum sehe: alles noch unerschlossene Märkte.
Eigentlich ist Blumenzucht gar nicht besonders schwierig. Man muß nur die richtige Balance zwischen Angebot und Nachfrage finden. Die Regierung rät uns, das Angebot durch den Zusammenschluß von zehn bis zwanzig Kleinfarmen zu einer Kooperative zu regulieren. Das klingt vernünftig, weil größere Produktionseinheiten kostengünstiger sind, aber ganz unproblematisch ist das auch nicht. Nehmen wir mal an, ich bin jetzt der Boß einer Blumenkooperative, und fünf meiner Mitglieder ziehen Rosen. Wenn nun ein Kunde 500 Rosensträuße bestellt, welches Mitglied soll ich dann beauftragen? Das könnte natürlich der Reihe nach gehen, aber wie steht es mit der Qualität? Vielleicht sind die Rosen von Hinz besser als die von Kunz, aber wenn beide Mitglieder der gleichen Kooperative sind, muß der Boß die Produkte von allen gleichberechtigt verkaufen und setzt damit unter Umständen den Ruf der Kooperative aufs Spiel.
In einer Kooperative hat der Boß auch keine Kontrolle über die Produktionsleistung der einzelnen Mitglieder. Unter Berücksichtigung der Nachfrage vom Vorjahr verlangt er beispielsweise, daß jedes Mitglied, sagen wir mal, 10 000 Töpfe mit Rosen produziert. Aber vielleicht denkt das Mitglied auch an die gute Nachfrage vom Vorjahr und pflanzt für sich selbst weitere 10 000 Töpfe an. Am Ende ist das Angebot doppelt so hoch wie die tatsächliche Nachfrage, und die Pflanzer müssen den Überschuß dann zu Tiefstpreisen verramschen, was sich auch auf den Marktpreis auswirkt.
Blumen sind gar nicht so gewinnträchtig, wie man denkt. Wegen der Konkurrenz ist die Gewinnspanne sogar ausgesprochen dünn. Angenommen, der Großhandelspreis einer Beetpflanze liegt bei 8 NT$ (50 Pfennig). Wenn wir aber das Durchschnittseinkommen und die Verbraucherpreise in Taiwan mit anderen Ländern vergleichen, dann wäre ein Preis von 10 NT$ (62 Pfennig) vielleicht angemessener. Bei schwankenden Marktpreisen haben Großhersteller wie Tai-Yi ein enormes Verlustrisiko. Auf dem Gemüsemarkt sieht es wohl nicht viel anders aus, denke ich.
Landwirtschaft wurde lange Zeit als Gewerbe zweiter Klasse betrachtet. Das lag vor allem daran, daß die Branche sich zu sehr auf die Produktion und zu wenig auf die Vermarktung konzentriert hat. Viele Bauern fanden, daß Landwirtschaft "sachlich" sein und man bei Landwirtschaft im kleinen Rahmen seine Kräfte nicht für Marketing verschwenden sollte. Landwirtschaftliche Regierungsbehörden geben Tips bei der Vermarktung, aber aktives Eingreifen in den Vermarktungsprozeß ist eigentlich nicht ihre Aufgabe.
In anderen Ländern wie Japan spielen die Medien bei der Entwicklung des Blumenmarktes eine wichtige Rolle, weil Blumen als Zierde für die Umwelt angesehen werden. Hier ist das anders. Um den Markt selbst zu erschließen, haben wir eine Werbeabteilung eingerichtet. Vor ein paar Monaten haben wir auch einen landwirtschaftlichen Unterrichtsraum eingerichtet, in dem wir Kindern das Einpflanzen von Samen beibringen. Sie nehmen die Samen in einem Töpfchen mit nach Hause und können dem Pflänzchen dann beim Wachsen zuschauen -- so lernen sie die Schönheit der Natur schätzen. Der Unterrichtsraum und die Pflanzenschule ziehen an Wochenenden und Feiertagen drei- bis viertausend Besucher täglich an, manchmal kommen sogar über 5000. Natürlich erwarten wir nicht, daß das Geschäft dadurch nennenswert belebt wird, zumindest nicht direkt. Von Besuchern, die wiederkamen, haben wir allerdings gehört, daß diese Ausflüge unabhängig vom Marketing einen gesellschaftlichen Nutzen haben. Wenn beispielsweise die Kinder mit ihren Eltern über ihre Pflanzen sprechen, stärkt das den Familienzusammenhalt.
Übrigens sind die meisten unserer Mitarbeiter überhaupt nicht regulär in Landwirtschaft ausgebildet. Der Manager unserer Gemüseabteilung zum Beispiel ist eigentlich ein Fachmann für Buchhaltung. Außer Mr. Chang haben wir unsere ganzen Kenntnisse über Blumen und Gemüse erst nach der Anstellung erworben. Wir beschäftigen sozusagen Geschäftsleute zum Verkauf landwirtschaftlicher Produkte. Das war so nicht geplant, aber es geht nicht anders. Die meisten Studenten möchten viel lieber Medizin als Agrarwissenschaften studieren. Die schlecht motivierten Landwirtschaftsstudenten haben nur wenige Möglichkeiten: Berufs- oder Fachwechsel oder Fortsetzung des Studiums, um dann nach harter Arbeit Landwirtschaftsprofessor zu werden. Auf jeden Fall hat kaum einer vor, in einer Pflanzenschule zu arbeiten.
Man kann landwirtschaftliches Personal auch in den landwirtschaftlichen Berufsschulen rekrutieren, aber viele der Absolventen wollen auch keine Bauern werden. Ich mache ihnen daraus keinen Vorwurf, denn ich selbst habe damals den Familienbetrieb ja auch nicht übernehmen wollen. In der Landwirtschaft sehen sie keine Zukunft: keine Förderungsmöglichkeiten, keine Gelegenheiten zur Weiterbildung und so weiter.
Wenn wir jungen Leuten keine Perspektive aufzeigen können, dürfen wir kaum erwarten, daß sie zu uns kommen und für uns arbeiten wollen. Inzwischen sind aber immer mehr Absolventen der landwirtschaftlichen Berufsschulen eben dazu bereit, denn jetzt können wir ihnen eine Zukunft bieten. Allerdings bilden sich viele von ihnen ein, sie könnten nach ein paar Jahren Arbeit bei uns schon Chef werden. Das ist wohl ein allgemeines Phänomen in dieser Gesellschaft, und ich muß ihnen immer einhämmern, daß es nicht so einfach ist, wie sie glauben. Ich habe es genau ausgerechnet: Wenn ich mich ohne Einkommensverluste selbständig machen wollte, bräuchte ich mindestens 20 Millionen NT$ (1,25 Millionen DM) Kapital, und das wäre dann immer noch ein ziemlich riskantes Unternehmen.
Als ich bei dieser Firma angefangen habe, war Landwirtschaft für mich wenig reizvoll. Heute, nach dreieinhalb Jahren, will ich auf keinen Fall mehr hier weg: hier habe ich eine gesunde Umgebung, eine angenehme Atmosphäre, einen guten Chef und sogar eine Ehefrau -- ich heirate nächsten Monat. Meine Braut arbeitet auch hier. Man könnte fast sagen, ich bin fast schon ein wenig in die Landwirtschaft vernarrt.